Mindestlohn für Selbständige steht im Widerspruch zur Selbständigkeit
Zusammenfassend lässt sich wohl sagen, dass man ganz klar zwischen unterschiedlichen Selbstständigen und den Motiven für die Selbständigkeit unterscheiden muss.
Für die einen war die Selbstständigkeit eine bewusste und freiwillige Entscheidung für mehr Freiheit, mehr Selbstverwirklichung und weniger Kontrolle von außen. Für solche Selbständigen sind gesetzliche Vorschriften wie zum Beispiel ein Mindestlohn für Selbständige eine Katastrophe. Sie würden mehr Kontrolle unterliegen und mehr Verpflichtungen haben - das Gegenteil von dem, was sie wollen.
Für diese Selbständigen ist auch eine gesetzliche Rentenversicherungspflicht ein absolutes No Go und entschieden abzulehnen.
Dann gibt es da jedoch eine zweite Gruppe, die nicht ganz freiwillig selbständig geworden ist und die es im Leben sehr schwer hat. Durch die hohe Arbeitsbelastung und das geringe Einkommen sind sie nicht nur sozial benachteiligt, sondern haben auch keine Zeit und keine Kraft, für ihre Rechte zu kämpfen.
Und um das einzufordern, was ihnen zusteht: Gerechtigkeit und lebenswürdige Bedingungen
Für diese (tatsächlich sehr große) Gruppe muss dringend etwas getan werden und es wäre fatal auf die Selbstverantwortung zu pochen und wegzuschauen.
Doch ist ein gesetzlicher Mindestlohn die Lösung?
Die große Frage, die sich stellt, ist: Wie kann man ausbeuterische Systeme verhindern und für mehr Gerechtigkeit sorgen?
Ein gesetzlicher Mindestlohn für Selbständige kann keine Lösung sein, da Selbstständige nicht wie Arbeitnehmer arbeiten und es in vielen Fällen sogar Sinn machen kann, als Selbständiger gering bezahlte Arbeit zu erledigen.
Denn was ist zum Beispiel mit einem Programmierer, der eine eigene App entwickelt , drei Jahre lang bei absolutem Existenzminimum 80 Stunden pro Wochen an seiner App arbeitet, um dann nach dem Start innerhalb von einem halben Jahr Hunderttausende zu verdienen?
Oder was ist mit der Auftragsakquise oder dem Aufbau von Referenzen ? In vielen Fällen macht es Sinn, bestimmte Leistungen unterm Deckungsbeitrag anzubieten, um Kunden von sich zu überzeugen und sich um bestimmte Projekte zu bewerben. Wenn ich im Durchschnitt 50 Euro pro Stunde verdienen möchte, macht es Sinn 50 Stunden für nur 10 Euro zu arbeiten, wenn ich anschließend einen Auftrag bekomme, mit dem ich 100 Stunden zu 100 Euro abrechnen kann.
Und letztlich stellt sich auch die Frage, welche Stunden denn mit einem Mindestlohn für Selbständige abgegolten werden sollen. Und von wem? Wenn ich für meine eigene Büroorganisation 30 Stunden pro Monat benötige, ist das für mich Arbeitszeit. Aber von wem soll diese Arbeitszeit bezahlt werden?
Zusätzlich ist (insbesondere im Internet) die Konkurrenz weltweit zu suchen. Wie soll man einen Mindestlohn realisieren, wenn ich als deutscher Freelancer mit Amerikanern, Indern, Schweizern und Filipinos um Projekte konkurriere? Wir würden uns keinen Gefallen tun, wenn wir noch mehr Bürokratie schaffen und dadurch als Wirtschaftsstandort Deutschland noch unattraktiver werden.
Doch was können wir tun?
In meinen Augen muss unbedingt etwas dagegen getan werden, dass Selbstständige ausgebeutet werden und deutlich weniger Geld bekommen als sie verdienen. Allerdings halte ich einen Mindestlohn für Selbständige für grundlegend falsch weil er die Freiheit von jedem Selbstständigen einschränkt und sie quasi zu einem Angestellten macht.
Wir haben in Deutschland schon jetzt eine Regelung, die dafür sorgt, dass Angestellte nicht aus ihrem Job gekündigt werden und anschließend für weniger Geld als Freelancer beschäftigt werden. Ein solches Vorgehen führt fast zwangsläufig zur Scheinselbstständigkeit und sorgt dafür, dass sie Beschäftigung nicht als selbständig angesehen wird sondern als angestellt. Bedeutet: Sozialversicherungspflicht. Zu zahlen von dem Auftraggeber.
Diese Regelung sollte aber viel konsequenter durchgesetzt und geahndet werden. Nicht bei den gutverdienenden IT-Experten, die sich selbst, um ihre Absicherung kümmern, sondern bei den Geringverdienern, deren Abhängigkeit ausgenutzt wird, um die Stundensätze immer weiter zu drücken.
Mögliche Ansatzpunkte: Höhere Freibeträge
Ein ganz interessanter Ansatzpunkt hat uns ein User auf Facebook geschrieben.
Wie wäre es, wenn man die steuerlichen Freibeträge für Selbständige erhöhen würde, damit die Geringverdiener weniger Abzüge haben und mehr für den eigenen Lebensunterhalt bleibt? Und das eventuell auch bei den Sozialversicherungen?
Zwar haben alle wichtigen Steuerarten Freibeträge, Freigrenzen oder Pauschalierungen, die sind jedoch zum Teil sehr niedrig (Grundfreibetrag von 8.820 Euro bei der Einkommensteuer) oder sind keine wirkliche Steuerbefreiung (Kleinunternehmerregelung im Umsatzsteuerrecht).
Ich finde den Ansatz so interessant, weil er nicht auf der Einkommensseite sondern bei der Ausgabenseite ansetzt und die steuerliche Belastung reduzieren würde.
Vielleicht wäre also ein Freibetrag für Einkünfte aus selbständiger Arbeit sinnvoll? Eventuell auch begrenzt auf die ersten drei oder fünf Jahre?